URBAN SUBJECTS
SABINE BITTER | HELMUT WEBER

Ohne Titel (derzeit) Neue Räume des Gesellschaftlichen

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In ihrer künstlerischen Arbeit beschäftigen sich Sabine Bitter und Helmut Weber mit Architektur und Raum als soziale und gesellschaftliche Manifestation. Sie verleihen den formalen und gesellschaftlichen Potentialen und Widerspruechlichkeiten moderner Architektur, sozialer Wohnungsbauprogramme und städtebaulicher Experimente Sichtbarkeit. Gleichzeitig beschäftigt sie die Frage nach den Errungenschaften und Fehlschlägen in der Geschichte der konfliktreichen Beziehungen zwischen Architektur und sozialem Projekt.
In ihren Foto- und Videoarbeiten verhandeln sie spezifische Momente und Logiken des globalen urbanen Wandels, wie sie in Stadt, Architektur, Nachbarschaften, und Alltag zum Ausdruck kommen.
Ein Verständnis von Raum, der immer neu herzustellen ist, ist Grundlage ihrer aktuellen Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsthematik: es geht um eine gesellschaftliche Raumproduktion, die – in unterschiedlichsten Masstäben – von selbstorganisierten Einzelpersonen, bis zu politischen Körperschaften und internationalen Organisationen aktiv permanent neu gestaltet wird.
Die mehrteiligen Installation “Ohne Titel (derzeit)” verhandelt die drängende Frage, wie Wohnraum, Ressourcen, und Unterstützung für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt werden. Eine grossformatige Foto-Wandarbeit einer Gaststube und eine Vielzahl von Orten und Architekturen auf zwei Fotopanelen stellen grossteils existierende vertraute Räume dar, in denen zur Zeit Hilfe koordiniert wird, neue Möglichkeiten für die Unterbringung verhandelt und konkrete Massnahmen zur Unterstützung organisiert werden. Neben dem grossen schwarz-weiss Druck einer uns als sehr vertraut erscheinenden Gaststube, der direkt an die Wand appliziert ist, sind zwei Panele plaziert: Doppeltüren des Ausstellungsraumes, die ausghängt wurden und als Bildträger für ein Detail der Gaststube bzw. für die Sammlung von Fotos der unterschiedlichen Räume dienen.
Ein beigelegtes Indexblatt beschreibt die Initiativen und Tätigkeiten, bzw. die Orte, Räume und Gebäude, die oftmals ihre ursprüngliche Funktion verloren haben, deren Nutzung in Änderung begriffen ist oder gerade für eine “Zwischennutzung” zur Verfügung stehen. Es wird deutlich, dass geänderte soziale oder wirtschaftliche Bedingungen schon immer die Funktion und die Nutzungen der Architektur mitbestimmt haben. Der Blick auf das Ensemble der Fotografien wird durch eine über die Bilder gelegte anamorphe Raum-Skizze (die nur von einem spezifischen Standpunkt aus als solche in ihrer gesamten Figur gesehen werden kann) irritiert: Die abstrakte Perspektive von einem Raum des Gesellschaftlichen als fest umrissenen Container löst sich auf in einer Vielzahl von Perpspektiven dieser konkreten architektonischen Innenräumen, die das Bild einer sich ständig ändernden und offenen gesellschaftlichen Raumproduktion entwerfen. Der Massstab dieser Räume reicht vom Parlament in Wien, Sitzungssaal des Wiener Gemeinderats, Rot-Kreuz Büros, Train of Hope, Caritas, bis hin zu kleinen selbstorganisierten Gruppen, die alle in diese Raumproduktion involviert sind.
Diese Arbeit wurde kurzfristig für die Ausstellung “Preise und Talente” realisiert. Bitter und Weber erhielten den Landeskulturpreis 2015 für Interdisziplinäre Kunst. Anlässlich der Vergabe diese Preises und der Ausstellung wollten die KünstlerInnen den vorherrschenden Medienbildern, sowie einer vereinfachenden Krisenrhetorik einen Raum entgegensetzen, der andere Möglichkeiten oder Blickwinkel eröffnen kann.

INDEX:
Wohnung und Veranstaltungsraum in Privathaus, Aigen-Schlägl
Im hinteren Teil des Honzikhaus wird derzeit eine Wohnung für eine Flüchtlingsfamilie
adaptiert. Das alte Rathaus und Honzikhaus ist auch Treffpunkt von GLAS
(Grüne Liste Aigen Schlägl), Sitz des Vereines “Grünes Herz Europas”, Veranstaltungs-
und Ausstellungsraum für unterschiedliche kulturelle Aktivitäten. Beide
Gründungshäuser des Marktes Aigen stammen aus dem 13. Jhdt. und wurden 2001
im Rahmen einer Renovierung in den historisch wertvollen Zustand des 18.Jhdts.
zurückversetzt, allerdings mit einer zeitgenössischen Gestaltung an der Fassade
versehen.

Kinderecke in der ÖBB Lounge am Westbahnhof Wien
Eine Gruppe von Privatpersonen bietet für Flüchtlinge eine Kinderspielecke und
Ruhezone für Mütter an. Selbstorganisiert und ohne öffentliche Mittel wird der
Raum betrieben, der von der ÖBB zur Verfügung gestellt wurde und normalerweise
als Lounge für Reisende der 1. Klasse genutzt wird.

Anwaltskanzlei Wien
Seit den 1970er Jahren ist Rechtsanwalt Dr. Herbert Pochieser für Amnesty International
aktiv. Schwerpunkte des juridischen Engangements seiner Kanzlei, die 1987
eröffnet wurde, sind Asyl- und Fremdenrechtssachen sowie das Arbeitslosenrecht.
Die Kanzlei befindet sich in einem 6-geschossigen Gründerzeitbau von 1906 im
7. Wiener Gemeindebezirk, der als erster Bezirk Wiens seit 2001 von den Grünen
regiert wird.

Kanzlei in der Volksschule Neufelden
Die Initiative “Schule baut Brücken” integriert seit mehr als 30 Jahren erfolgreich
Kinder aus Asylwerber-Familien und Kinder mit Migrationshintergrund in der
Schule. Das Büro von Volksschuldirektor Josef Pühringer ist Koordinationsstelle
für das interkulturelle Beratungsteam des Landesschulrates OÖ für die Bezirke
Rohrbach und Urfahr Umgebung/nord, sowie Drehscheibe für internationale
Projektkooperationen, Vielfalt statt Einfalt, Schnittstelle von Schule und ehrenamtlicher
AsylantInnenenhilfe private u. NGOs. Die Volksschule Neufelden, 1898
eröffnet, beherbergt derzeit 5 Klassen sowie auch den Gemeinde-Kindergarten, die
Landesmusikschule und den Musikverein.

“Displaced-Zentrale” und “Cafe” in der ehemaligen Finanzlandesdirektion Wien
Bis zum Frühjahr 2016 stehen dem Projekt “Displaced – Participatory action
research: Urbane Bildungsräume für junge Flüchtlinge“ Räumlichkeiten in der
ehemaligen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland zur
Verfügung. Studierende und Lehrende des Masterstudiums Architektur am Institut
für Kunst und Gestaltung, TU Wien, arbeiten mit und für Flüchtlinge in einer
kooperativen Lehrveranstaltung an informellen Aufenthalts-, Begegnungs- und
Lernräumen in Wien. Kooperationspartner: SKuOR, PROSA, bink, urbanize!, Rotes
Kreuz, im Haus lebende Flüchtlinge, UNOs | umding+ortsam, Hochschülerschaft
(hufak), Studierende, AbsolventInnen und Lehrende der Universität für Angewandte
Kunst u.v.m.

Koordinationsbüro und Kinderspielecke in der zukünftigen Fahrradgarage im
neuen Hauptbahnhof Wien

“Train of Hope”, ein parteiloser und organisationsunabhängiger Zusammenschluss
von Freiwilligen koordiniert ehrenamtlich die Soforthilfe für Flüchtlinge am Hauptbahnhof
Wien. Die in drei Schichten arbeitenden Freiwilligen kümmern sich um
Erstversorgung, Kleidung, Essen, Information, Zusammenführung von vermissten
Angehörigen und arbeiten mit dem Roten Kreuz, der ÖBB und Caritas zusammen.
Durch die Zentralisierung der Bahnverbindung wurde der alte Süd- und Ostbahnhof
obsolet und demoliert. Auf dessen Areal entstand die BahnhofCity Wien Hauptbahnhof
mit Shoppingmalls, Bürogebäuden und neuen Wohnbauprojekten und
macht die Gegend um den Südtiroler Platz zu einem Hotspot der Gentrifizierung.

Aufenthaltsraum, ehemaliges Gastshaus Auberger
Das ehemalige Barockhaus war seit der Jahrhunderwende ein Gasthaus. Der Gastbetrieb
wurde vor mehr als 10 Jahren eingestellt und das Gebäude stand seit fünf
Jahren leer. Seit August 2015 wohnen 25 männliche Flüchtlinge, zum Grossteil aus
Somalia, die vom Roten Kreuz betreut werden, im Gasthaus und den ehemaligen
Fremdenzimmern. Der Fussballverein Aigen-Schlägl kümmerte sich um gemeinsame
Fussballspiele und von Freiwilligen organisiert finden Deutschkurse in der
ehemaligen Gaststube statt.

Koordinationsbüro Caritas, Essens- und Kleiderausgabe am Westbahnhof Wien
Als zentrale Organisation koordiniert die Caritas die Flüchtlingshilfe am Westbahnhof.
Durch die Neuorganisation der Wiener Bahnhöfe wurde der Westbahnhof als
zentrale Zuganbindung abgewertet. Die denkmalgeschützte Halle aus den 50iger
Jahren wurde um ein Hotel- und Bürogebäude und eine Shoppingmall erweitert.
Die durch die Absiedelung und Umstrukturierung obsolet gewordenen Gebäude
oder Räume wurden entweder abgerissen, stehen leer oder dienen jetzt einer
zwischenzeitlichen Nutzung für Unterkunft und Betreuung der Flüchtlinge.

Ambulanzstation Berufsrettung in leerstehenden Räumen des Westbahnhof Wien
Seit September ist das “Sanitätsteam Wien” bestehend aus Wiener Rotem Kreuz,
Arbeiter Samariter-Bund, Johannitern, Maltesern und Berufsrettung Wien – MA 70
am Wiener Westbahnhof im Einsatz für Erstversorgung und ambulante Betreuung
der Flüchtlinge.

Koordinationsbüro Kinderfreunde Wien
Von September bis Oktober betrieben die Kinderfreunde Wien ein Tageszentrum
für Flüchtlingsfamilien in der Wipark-Garage am Westbahnhof. Im 3. Stock des
Parkdecks wurden Bereiche für Familien mit Kindern, Versorgungstationen, Ruhebereiche,
Wickelstationen, und Computerstationen mit Internetzugang geschaffen.
Aufgrund der Witterungsverhältnisse ist das Family.Day.Center vorübergehend
geschlossen.

Zelt Kollerschlag an der Grenze zu Bayern
Der seit Inkrafttreten des Schengener Abkommens 1997 offene Grenzübergang
zwischen Oberösterreich und Bayern in Kollerschlag wurde aufgrund geänderter
Fluchtrouten im Oktober kurzfristig gesperrt. Die temporäre Unterbringung
und Versorgung der Flüchtlinge in beheizten Zelten wird vom Rotem Kreuz,
Bundesheer, Polizei und freiwilligen HelferInnen koordiniert und organisiert.

Büro des Roten Kreuzes in der ehemaligen Finanzlandesdirektion Wien
Im Büro des Roten Kreuzes wird die Betreuung von Not-Unterkünften für Flüchtlinge
in der ehemaligen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und
Burgenland koordiniert und organisiert. Die zwischenzeitlich leerstehenden Gebäude
werden bis zur Sanierung im Frühjahr 2016 von BIG (Bundesimmobiliengesellschaft)
und Universität für Angewandte Kunst Wien zur Verfügung gestellt. Im
Frühjahr 2016 beginnen die Erweiterungs- und Sanierungsarbeiten für den neuen
Standort der Universität.

Organisationsbüro im obersten Stock des ehemaligen Kurierhauses Wien
Seit 1963 betrieb der Kurier seine Büros in der Lindengasse bis zur Übersiedlung
im Frühjahr 2014. Seit September 2015 stellt der Eigentümer Raiffeisen Evolution
das Haus dem Fonds Soziales Wien für die Flüchtlingsunterbringung bis zum
Frühjahr 2016 zur Verfügung. Ungefähr 500 Flüchtlinge werden im Haus versorgt
und untergebracht.

Besprechungsraum und Einsatzzentrale im Bus
Am Wiener Hauptbahnhof hat der Samariterbund die Kommunikation für das Sanitätsteam
Wien übernommen. Die Samariterbund Gruppe Floridsdorf/Donaustadt hat
ihre mobile Leitstelle am Hauptbahnhof positioniert.

Besprechungsraum im ehemaligen Verbund Büro am Westbahnhof
Für Lagebesprechungen und Koordination der operative Zusammenarbeit zwischen
Caritas, Polizei, ÖBB und Berufsrettung wurden die ehemaligen Büroräume des
Energieunternehmen Verbund Hydro Power zur Verfügung gestellt. Die Räume
befinden sich im 2011 fertiggestellten Bürotrackt, dessen sog. Wolkenspange als
Wahrzeichen für die Kommerzialisierung des Bahnhofes bezeichnet wird.

Aufenthaltsraum Polizeiinspektion WBHF, Wien Westbahnhof
Seit August sicher die Polizeistation Westbahnhof zusammen mit anderen Organisationen
den geordneten Ablauf der Flüchtlingshilfe und die Weiterreise von Wien.

Stadtsenatssitzungssaal, Gemeinderatssitzungssaal im Rathaus Wien
Am 19. Dezember 2014 beschloss der Wiener Gemeinderat die Deklaration “Wien – Stadt der Menschenrechte” mit der erklärten Absicht die Sensibilität für die Menschenrechte
in allen Teilen der Gesellschaft zu fördern. Das Wiener Rathaus wurde
auf dem ehemaligen Militär-Paradeplatz zwischen Josefsstadt und Innerer Stadt als
Teil der Wiener Ringstrasse 1883 fertiggestellt. 1885 nahm der Wiener Gemeinderat
seine Arbeit an diesem Standort auf.

Plenarsaal, Sitzungssaal des Nationalrats, Parlament Wien
Bis 30.11. debattiert der Nationalrat eine Novelle zum Asylgesetz 2005, wobei
u.a. ein beschleunigtes Asylverfahren und dessen tatsächliche Auswirkungen
für Flüchtlinge umstritten sind. Das ehemalige Reichsratsgebäude, das Ende des
19. Jhdts. erbaut und im Stil der griechischen Klassik Begriffe wie “Politik” und
“Demokratie” architektonisch versinnbildlichen sollte, wurde 1918 zum Sitz des
Parlaments der Ersten Republik Österreichs. Nach den Zerstörungen des Zweiten
Weltkriegs wurden im Zuge des Wiederaufbaus von 1945-1956 von den Architekten
Max Fellerer und Eugen Wörle die Innenräume neu gestaltet und gelten als eine der
herausragenden Architekturen der 1950er Jahre.